Kastell Rheingönheim - Rekonstruktionsversuch

Bild 1: Osttor

Zwischen Rheingönheim und Altrip liegen unter einer Ackerfläche die Überreste eines römischen Kastells und Teile einer dazugehörigen Außensiedlung. Der westliche Kastellbereich, Teile der Außensiedlung und ein großes Gräberfeld fielen noch vor dem 1. Weltkrieg dem Sandabbau zum Opfer. Im Süden und Osten ist der Kastellbereich durch jeweils eine Straße gestört. Sichtbare Baustrukturen sind keine erhalten geblieben.

Bild 2: Ansicht aus Süd-West

Funde belegen, dass das Kastell und die Außensiedlung in der Regierungszeit von Kaiser Claudius um 43 n. Chr. gebaut wurde. Es lag in einer Reihe von vielen Kastellen die in dieser Zeit zwischen Windisch in der Schweiz und Mainz am Rhein entstanden, um die damalige Grenze zu schützen (vgl. Kolb, 2006, 10). Im Jahr 70 n. Chr. wurde das Kastell zerstört.  Das Kastell wird wieder aufgebaut, verliert aber durch die Eroberung der rechtsrheinischen Seite zunehmend an militärischer Bedeutung und wird schließlich um das Jahr 74 n. Chr. endgültig aufgegeben.

 Es wird angenommen, dass der Kastellinnenbereich und die Außensiedlung nach Aufgabe des Kastells nicht gleich aufgelöst wurde, sondern als Nachschub- und Straßenstation erhalten blieb. Nach der Datierung der Funde aus dem Gräberfeld kann davon ausgegangen werden, dass die Siedlungsstelle bis ins 4. Jahrhundert, also bis zum Ende der römischen Zeit, genutzt wurde. Es ist nicht auszuschließen, dass zwischen 10 n. Chr. und 35 n. Chr. an dieser Stelle ein Vorgängerkastell / Marschlager angelegt wurde. Grabungsergebnisse auf dem Kastellgelände scheinen die Existenz einer älteren, 11 ha? großen Vorgängeranlage zu bestätigen, in dessen Innenraum 43 n. Chr. das Kastell gebaut wurde (vgl. Cüppers, 1990, 457).

Bild 3: Ansicht aus Süd-Ost

Das Kastell in Rheingönheim wird als ein so genanntes „frührömisches Auxiliartruppenlager“ (Hilfstruppenlager) angesprochen (vgl. Cüppers 1990, 455). Es war in Holz-Erde Bauweise (Erdkastell) errichtet und umschloss ein rechteckiges Areal. Die noch erhaltene Ostfront hat eine Breite von ca. 187 m. Von der Südfront sind ca. 110 m und von der Nordfront noch ca. 160 m nachweisbar. Da der westliche Teil des Kastells durch den Sandabbau fehlt, kann die genaue Länge des Kastells aber nicht mehr zweifelsfrei bestimmt werden. Die in der Literatur angegebene Länge von 250 m (vgl. Cüppers 1990, 455) beruht auf einem Grabungsbericht von 1912, dass die Südwestecke des Kastells eben in dieser Entfernung von der Nordostecke lokalisiert worden sei. Freilich lässt sich derzeit nicht mit Bestimmtheit sagen, ob die im Südwesten festgestellte Ecke tatsächlich zu dem Kastell gehört hat. Sie könnte ja auch zu einer älteren oder jüngeren Anlage oder einer Erweiterung aus späterer Zeit gehört haben (vgl. Ulbert 1969, 12). Die genaue Kastelllänge ist daher noch ungewiss.

Geht man davon aus, dass das Kastell tatsächlich einmal 187 Meter breit und 250 Meter lang war, betrug die Lagerfläche ca. 4,67 ha. Als Lagerumwehrung war das Kastell von einem einfachen Spitzgraben (Breite 6 m, Tiefe 3 m nach Cüppers 1990, 456 und Breite 8 m, Tiefe 3,50 m bei Sprater 1929, 30) umgeben.

 

Bild 4: Lagerfläche

 

Dahinter lag, im Abstand von ca. 0,5 - 0,75 m (Berme), eine 2,60 m breite, zweischalige, aus senkrecht in den Boden eingerammten Balken bestehende Holz-Erde-Mauer (Holzkastenwerk), mit einer angenommenen äußerer und innerer Holzverschalung. O. Roller stellte bei seinen Ausgrabungen (1961/62) dazu fest, dass die Pfostengräbchen der Mauer in einem Abstand von 3 m (gemessen an den Außenkanten) nebeneinander verliefen(vgl. Ulbert 1969, 12, 14).
Über die Höhe der Kastellmauer gibt es keine Erkenntnisse. Man kann aber von einer Mauerhöhe von ungefähr 3 - 3,50 m (bis zum Wehrgang) ausgehen. Dazu kam noch eine knapp 2 m hohe unterbrochene Brustwehr (vgl. Johnson 1983, 72ff). Auf der Innenseite der Kastellmauer verlief die Wallstraße (via sagularis), die von einem Abwassergraben begrenzt war.

Die Hauptstraße (via principalis) zieht sich vom Nordtor (3) zum Südtor (4) durch das ganze Lager. Eine zweite Straße (7) (Ausfallstraße, via praetoria) verlief vom Haupttor (2) im Osten nach Westen. Sie schneidet nach ca. „60 m“ die Nord-Südstraße (6), verläuft aber nicht bis zum angenommenen Westtor, sondern endet kurz danach im Innenhof des an dieser Stelle vermuteten Stabsgebäudes (prinzipia) (vgl. Cüppers 1990, 457). Der Verlauf der beiden im Luftbild sichtbaren Innenstraßen (6, 7) werfen noch einige ungeklärte Fragen auf, mit denen sich Günter Ulbert (1969, 12f) ausführlich beschäftigt, die aber an dieser Stelle vorerst nicht berücksichtigt werden.

Bild 5: Osttor (Haupttor, Ausfallstraße, Militärbad)

Vor dem Osttor  ist, beidseitig der Straße zum heutigen Rehbach, eine zivile Bebauung  nachgewiesen. In diesem Bereich wurden vor dem Kastellgraben die Überreste eines gemauerten Militärbades (9) ausgegraben, das möglicherweise in einen größeren Gebäudekomplex an- oder eingebunden war. Einige links der Ausfallstraße befindlichen Strukturen deuten ebenfalls auf Steinbauten (21) hin und sind möglicherweise erst nach der Auflösung des Kastells erstellt worden. Ein Grundriss  erinnert an ein Turmfundament. Es könnte in Zusammenhang mit einer Straßenstation (Beneficarierstation) stehen. Aber auch an eine kleine Tempelanlage vor dem Kastellhaupttor ist zu denken. 

Bild 6: Nordtor, Osttor, Innenbebauung

Bild 7: Ansicht aus Nord-Ost

Wahrscheinlich hatte das Kastell mindestens vier Tore. Das Osttor  (porta praetoria) ist das einzige gesicherte Kastelltor. Der Torbau bestand aus zwei Tortürmen mit jeweils sechs Pfosten und hatte eine Gesamtbreite von 12 m und eine Tiefe von 6 m (Torgasse). Der Zugang erfolgte über eine Erdbrücke. 
Im Norden und Süden soll angeblich auf der noch erhaltenen Kastellfläche jeweils ein weiteres Tor  festgestellt worden sein. Ein Holzturm ist in der NO-Ecke und zwischen dem Osttor nachgewiesen. Weitere Eck-, aber auch Zwischen- und Tortürme  können angenommen werden.

Bild 8: Kastelltor (Beispiel)

Bild 9: Ansicht aus Nord-Ost (Innenbebauung)

Legionärsunterkünfte

Von der Innenbebauung ist nur wenig bekannt. Die Unterkünfte waren in Fachwerkbauweise errichte und besaßen einen charakteristischen Grundriss mit mind. 10 doppelten Räumen, in denen immer eine Gruppe (contubernium, Zeltgemeinschaft mit 8 Mann) untergebracht war und einen großen Kopfbau, in dem der Centurio wohnte.

Bild 10: Legionärsunterkunft

Bild 11: Legionärsunterkunft

Bild 12.1: Legionärsunterkunft

Bild 12.2: Legionärsunterkunft

Bild 13.1: Legionärsunterkunft

Bild 13.2: Legionärsunterkunft

Bild 13.3: Legionärsunterkunft

Um das Kastell herum entstand mit dem Bau des Kastells ein in Fachwerkbauweise errichtetes Lagerdorf (12) (canabae). Hier lebten Handwerker, Händler, Wirte, die Angehörigen der Soldaten und ein Heer von Arbeitern und Sklaven. Sie arbeiteten mehr oder weniger für die Armee und waren von den römischen Soldaten und deren Geld abhängig. Die Versorgung der Soldaten und der Dorfbewohner übernahmen Siedlungen im näheren und weiteren Umkreis des Kastells.

Bild 14: Ansicht aus Nord-Ost (Lagerdorf)

Bild 15: Ansicht aus Norden

Bild 16 u. 17

Vom Nordtor  aus verläuft die Hauptstraße (6) (via principalis) noch ca. 100 Meter in das Außengelände und stößt dort auf eine parallel zur Kastellnordseite verlaufende Straße? (14). Ob diese weiter zum Rhein geführt hat, oder in der östlich bzw. südlich liegenden Außensiedlung endet ist nicht bekannt. Östlich der Hauptstraße (6) ist im Gelände ein weiteres selektives Gebäude nachgewiesen, das als forumartiger Holzbau (13) angesprochen wird. Gegenüber liegen wahrscheinlich mehrer Gebäude (22). 

Bild 18: Ansicht aus Nord-West

Ein großes Gräberfeld, mit ca. 400 Bestattungen, schloss sich hinter dem westlichen Siedlungsteil an. Der Bereich ist mit einem Umgangstempel in der Rekonstruktion symbolisiert. 

 

Bild 19: Westtor, Gräberfeld

Bild 20: Ansicht aus Nord-West

Bild 21: Ansicht aus Süd-West

Bild 22: Ansicht aus Nord-West

Bild 23: Lageplan im Luftbild  (Live Search)  "Virtueller Rundflug"

 

Literatur:
Cüppers, Heinz: Die Römer in Rheinland-Pfalz, Stuttgart 1990
Johnnson, Anne: Römische Kastelle des 1. und 2. Jahrhunderts n. Chr. in Britannien und in den germanischen Provinzen des Römerreiches, Mainz 1987
Kolb, Matthias: Das römische Gräberfeld von Rheingönheim, Mannheim 2006
Moersch, Karl: Geschichte der Pfalz, Landau 1987
Sprater, Friedrich: Die Pfalz in der Vor- und Frühzeit, Speyer 1948
Sprater, Friedrich: Die Pfalz unter den Römern. Teil 1, Speyer 1929
Ulbert, Günter: Das frührömische Kastell Rheingönheim. Die Funde aus den Jahren 1912 und 1913, Berlin 1969

archaeoflug 2007


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